Lieder & Extras

3. Geh aus, mein Herz, und suche Freud

Evangelisches Gesangbuch: Nr. 503, Text: Paul Gerhardt 1653, Melodie: August Harder vor 1813,
Solisten: Emma Charlotte Kienast, Luca Arlen

Paul Gerhardt

Er wurde in eine unruhige, von Gewalt, Leid und Tod geprägte Zeit hineingeboren. Paul Gerhardt lebte von 1607 bis 1676 und war noch ein Kind, als 1618 der Dreißigjährige Krieg ausbrach. Ein Jahr später starb sein Vater, seine Mutter verlor er nur kurz danach. Als Folge des Krieges brachen Seuchen wie Pest, Pocken und Cholera aus und rafften Tausende von Menschen dahin. Inmitten aller dieser Wirren schaffte das Waisenkind Paul Gerhardt dennoch seinen Schulabschluss und begann 1628 in der Lutherstadt Wittenberg mit dem Studium der Theologie. Wie viele andere gelehrte junge Männer musste auch er sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer verdienen. In die Tochter der Familie Berthold in Berlin, deren Kinder Paul Gerhardt nach seinem Studium unterrichtete, hat er sich später verliebt. Mit 48 Jahren, das war für damalige Zeiten schon ein ziemlich hohes Alter, heiratete er schließlich seine Anna Maria. Das Paar bekam fünf Kinder, von denen jedoch nur eines seine Eltern überlebt hat.

Jetzt könnte man meinen, dass dieser Paul Gerhardt, dem so viel Trauriges in seinem Leben widerfahren war, ein sehr ernster und bitterer Mensch geworden sein muss. Aber das war nicht der Fall, im Gegenteil: Ihm verdanken wir mit die schönsten Kirchenlieder überhaupt. Insgesamt hat er sage und schreibe 134 Liedtexte geschrieben, von denen Ihr bestimmt auch einige kennt: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ zum Beispiel, oder „Die güldne Sonne“ oder „Ich steh‘ an Deiner Krippen hier“ und noch viele mehr. 26 Lieder im heutigen Gesangsbuch der Evangelischen Kirche stammen von ihm, und die meisten drücken Zuversicht und Gottvertrauen aus, ohne zu verleugnen, dass auch Sorgen, Not und Elend, wie Paul Gerhardt selbst erfahren musste, zum Leben dazugehören. Paul Gerhardt war übrigens auch ein sehr mutiger Mann: Als sein Vorgesetzter, der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund, von ihm verlangte, dass er von seinen Glaubensüberzeugungen abrücken sollte, hat er sich geweigert und als Folge davon seine Arbeit als Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche verloren. Obgleich das eine sehr geachtete Position war, zeigte er sich sofort bereit, Ansehen und Einkommen für seine Überzeugungen zu opfern. Viele Gemeindemitglieder haben damals gegen seine Entlassung protestiert, denn er war als Pfarrer sehr beliebt, aber es half nichts. Deshalb hat Paul Gerhardt die letzten sieben Jahre seines Lebens in Lübben im Spreewald verbracht, wo er wieder als Pastor tätig sein konnte. Dort liegt er auch begraben, und wenn Ihr einmal dorthin kommt, könnt Ihr im Kircheninnern das prächtige Porträt bewundern, das man dort zur Erinnerung an diesen großen Dichter aufgehängt hat.

August Harder

Erfolg und Berühmtheit gehorchen eigenen Gesetzen. Manche Leute sind zu Lebzeiten gefeierte Stars und dann schnell vergessen, andere bleiben ihr Leben lang verkannt und werden erst nach ihrem Tod entdeckt und verehrt. August Harder gehört sicherlich in die erste Gruppe. Diesen Namen haben die meisten von Euch wohl noch nie gehört. Aber das Lied, zu dem Harder die Melodie komponierte, kennt Ihr sicherlich alle: „Geh aus, mein Herz …“ Sie klingt fröhlicher als die der meisten Kirchenlieder, und auch beschwingter, weshalb sie auch so gut zu dem Text von Paul Gerhardt passt. Dabei hatte Harder sie ursprünglich für ein anderes Gedicht geschrieben, aber es waren die Verse von Gerhardt, die sie unsterblich gemacht haben. Wie oft wird dieses Lied im Gottesdienst gesungen! August Harder lebte von 1775 bis 1813, er wurde also gerade einmal 38 Jahre alt. Eigentlich hatte er Theologie studieren wollen, und um sein Studium in Leipzig finanzieren zu können, gab er nebenbei Musikunterricht. Schnell merkte er, dass er Noten und Klänge viel mehr liebte als trockene Büchergelehrsamkeit, und entschloss sich dazu, sein Leben künftig als freier Musiker führen. Harder konnte wunderbar singen, Gitarre und Klavier spielen und hatte mit seinen Auftritten und mit seinen Kompositionen großen Erfolg. Heute kennt ihn kaum jemand mehr, doch wann immer ihr „Geh aus, mein Herz“ anstimmen solltet, könnt Ihr ja für einen Moment auch des Mannes gedenken, der dieses Lied geschrieben hat.

DIE GESCHICHTE ZUM LIED

Der bunte Junge // Nicole Metzger

Es war einmal eine graue Stadt. In der grauen Stadt liefen die grauen Menschen jeden Tag, jede Stunde hektisch durch die grauen Straßen. Ihre Augen starr nach unten gerichtet: Schnell noch eine Handy-Nachricht lesen! Bloß nichts verpassen! Straßenbahnen pflügten sich ihren Weg durch das Gewimmel, Autos hupten: „Keine Zeit, keine Zeit!“ Graue Gesichter in der Bahn, fahl im weißen Licht ihrer Laptops – nur noch schnell eine E-Mail verschicken, nur noch kurz im Internet surfen. Graue Körper mit vielen scheinbar wichtigen Aufgaben.
Auch die Kinder der grauen Menschen waren grau: Ihre Körper hatten graue Ohren, graue Nasen, graue Augen, fahle, graue Haut und graue Herzen. Auch sie hatten keine Zeit: Sie mussten sich um ihre Handys, Fernseher und Computer kümmern. Das war wichtig. Denn sie wollten dazu gehören.
Mitten im Herzen der grauen Stadt lebte ein Junge. Der war anders als die anderen: Er war bunt! Er lebte in einem großen Garten mit vielen Bäumen und einem kleinen Teich darin. Der bunte Junge liebte seinen Garten. Viele Stunden verbrachte er damit, den Vögeln beim Fressen und den Vogeljungen bei den ersten Flugversuchen zuzuschauen, sich die Feuerkäfer über die Hand krabbeln zu lassen, die Rosen, die in den allerherrlichsten Farben blühten, zu beschnuppern oder auch einfach nur damit, im Gras zu liegen, den Blättern im Wind und den vorbeifliegenden Insekten zu lauschen. Eigentlich ging es dem bunten Jungen sehr gut in seinem bunten Garten. Nur eines machte ihn traurig: Er hatte niemanden, mit dem er seine Freude über die Blumen, die Tiere, die Sonne - das Leben - teilen konnte.
So machte er sich auf den Weg, um andere Kinder zu suchen, die mit ihm über die vielen kleinen Wunder staunen konnten. Doch keines der grauen Kinder, die er fand, hatte Zeit. Fast schon wollte der bunte Junge aufgeben und alleine in seinen Garten zurückkehren, als er plötzlich stehen blieb, weil ein Rotkehlchen inmitten der grauen Stadt so schmelzend über ihm zu singen begann, dass es ihm ganz warm ums Herz wurde. Und nicht nur er blieb stehen! Du glaubst es kaum! Auch ein grauer Junge verharrte in seiner Bewegung. Zwar war es noch ein wenig ungelenk, wie er seinen Kopf hob, doch auch er hatte das Rotkehlchen gehört. Erst konnte er das Geräusch gar nicht einordnen. Es war so anders als alles, was bisher an sein Ohr gedrungen war. Schnell erklärte der bunte Junge dem grauen Jungen: „Das ist ein Rotkehlchen. Die Kleinen lernen gerade bei mir im Garten fliegen. Das ist vielleicht putzig! Komm ich zeige sie dir!“ Und der graue Junge ging mit.
Stell dir vor, wie er staunte, als er den Garten betrat. So etwas hatte er noch nie gesehen! Der bunte Junge setzte sich mit ihm an den Teich: Wie lustig sich die Karpfen anfühlten, wenn sie mit ihren Lippen an den Zehen zu saugen versuchten, wie frisch die Luft roch, wenn der Wind ihnen um die Nasen wehte. „Leg dich ins Gras und mach die Augen zu!“, forderte der bunte den grauen Jungen auf. Und dann geschah etwas ganz Seltsames! Der graue Junge begann bunt zu werden! Zuerst seine Hände und Füße, als sie von Gras und Ameisen gekitzelt wurden, dann seine Nase, als sie den Duft der Blumen im Gras wahrnahm, seine Ohren, als sie die dicken Käfer brummen hörten, seine Augen, als die warmen Sonnenstrahlen diese durch die geschlossenen Lider erreichten, sein Mund, als er vom frischen, scharfen Geschmack der Minze zu prickeln begann. Und ganz zum Schluss wurde sein Herz bunt. Es fühlte sich eigenartig an. So voll, so warm, so lebendig. Als ob es überlaufen wollte vor lauter Freude. Da nahmen sich beide Jungen an den Händen und sangen aus vollem Hals, was ihnen gerade in den Sinn kam. Mit den Vögeln um die Wette.