Lieder & Extras

11. O Haupt voll Blut und Wunden

Evangelisches Gesangbuch: Nr. 85, Text: Paul Gerhardt 1656 nach „Salve Caput Cruentatum“ des Arnulf von Löwen vor 1250, Melodie: Hans Leo Hassler 1601; geistlich Brieg nach 1601, Solistin: Leni Hellenkamp

Paul Gerhardt

Er wurde in eine unruhige, von Gewalt, Leid und Tod geprägte Zeit hineingeboren. Paul Gerhardt lebte von 1607 bis 1676 und war noch ein Kind, als 1618 der Dreißigjährige Krieg ausbrach. Ein Jahr später starb sein Vater, seine Mutter verlor er nur kurz danach. Als Folge des Krieges brachen Seuchen wie Pest, Pocken und Cholera aus und rafften Tausende von Menschen dahin. Inmitten aller dieser Wirren schaffte das Waisenkind Paul Gerhardt dennoch seinen Schulabschluss und begann 1628 in der Lutherstadt Wittenberg mit dem Studium der Theologie. Wie viele andere gelehrte junge Männer musste auch er sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer verdienen. In die Tochter der Familie Berthold in Berlin, deren Kinder Paul Gerhardt nach seinem Studium unterrichtete, hat er sich später verliebt. Mit 48 Jahren, das war für damalige Zeiten schon ein ziemlich hohes Alter, heiratete er schließlich seine Anna Maria. Das Paar bekam fünf Kinder, von denen jedoch nur eines seine Eltern überlebt hat.

Jetzt könnte man meinen, dass dieser Paul Gerhardt, dem so viel Trauriges in seinem Leben widerfahren war, ein sehr ernster und bitterer Mensch geworden sein muss. Aber das war nicht der Fall, im Gegenteil: Ihm verdanken wir mit die schönsten Kirchenlieder überhaupt. Insgesamt hat er sage und schreibe 134 Liedtexte geschrieben, von denen Ihr bestimmt auch einige kennt: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ zum Beispiel, oder „Die güldne Sonne“ oder „Ich steh‘ an Deiner Krippen hier“ und noch viele mehr. 26 Lieder im heutigen Gesangsbuch der Evangelischen Kirche stammen von ihm, und die meisten drücken Zuversicht und Gottvertrauen aus, ohne zu verleugnen, dass auch Sorgen, Not und Elend, wie Paul Gerhardt selbst erfahren musste, zum Leben dazugehören. Paul Gerhardt war übrigens auch ein sehr mutiger Mann: Als sein Vorgesetzter, der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund, von ihm verlangte, dass er von seinen Glaubensüberzeugungen abrücken sollte, hat er sich geweigert und als Folge davon seine Arbeit als Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche verloren. Obgleich das eine sehr geachtete Position war, zeigte er sich sofort bereit, Ansehen und Einkommen für seine Überzeugungen zu opfern. Viele Gemeindemitglieder haben damals gegen seine Entlassung protestiert, denn er war als Pfarrer sehr beliebt, aber es half nichts. Deshalb hat Paul Gerhardt die letzten sieben Jahre seines Lebens in Lübben im Spreewald verbracht, wo er wieder als Pastor tätig sein konnte. Dort liegt er auch begraben, und wenn Ihr einmal dorthin kommt, könnt Ihr im Kircheninnern das prächtige Porträt bewundern, das man dort zur Erinnerung an diesen großen Dichter aufgehängt hat.

HANS LEO HASSLER

Es ist eines der traurigsten und erschütterndsten Kirchenlieder überhaupt: „O Haupt voll Blut und Wunden“ – schildert es doch die Qualen, die Jesus am Kreuz erleiden musste. In der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach singt es der Chor ganz ernst und verhalten, und kaum jemand unter den Zuhörern, der in diesem Moment nicht ergriffen ist und beinahe weinen muss. Wer ahnt schon, dass diese Melodie ursprünglich für ein Liebeslied bestimmt war, das „Mein G’müt ist mir verwirret“ hieß und in einer Sammlung mit dem fröhlichen Titel „Lustgarten neuer teutscher Gesäng“ erstmals abgedruckt wurde? Die Geschichte dieses Lieds ist also ziemlich bewegt und auch nicht einfach zurückzuverfolgen.

Ausgedacht hat es sich, nach allem, was wir wissen, Hans Leo Hassler, ein zu seiner Zeit berühmter Organist und Komponist. Hassler entstammte einer großen Musikerfamilie und wurde 1564 in Nürnberg geboren. Schon früh bildete ihn sein Vater Isaac an der Orgel aus, später ging er nach Venedig, um bei dem damals hochangesehenen Organisten von San Marco, Andrea Gabrieli, Unterricht zu nehmen. 1856 holte ihn Oktavianus Secundus Fugger als Organisten nach Augsburg. Die Fuggers waren damals eine sehr reiche und mächtige Kaufmannsfamilie mit Geschäftsverbindungen in ganz Europa. Sicherlich war es diesem Kontakt zu verdanken, dass Hassler im Jahr 1600 auch die Leitung der Augsburger Stadtpfeifer anvertraut wurde, einem Orchester von Berufsmusikern, die man für Auftritte bei offiziellen Anlässen oder Privatfeiern buchen konnte. Zu Lebzeiten Hasslers galten die Augsburger Stadtpfeifer als eine der besten Kapellen in Deutschland. Hassler war ein fleißiger Komponist: Er schrieb etliche Lieder für mehrstimmige Chöre, mal mit religiösem, mal mit weltlichem Text, von denen viele heute noch als Meisterwerke des Frühbarock gelten. Auch betätigte er sich als Erfinder: So träumte er davon, einen Orgelautomaten zu entwickeln, ein Instrument also, das ohne Spieler selbständig Musik machen kann.
1612 reiste Hans Leo Hassler nach Frankfurt, um an der Krönung von Kaiser Matthias teilzunehmen. Doch starb er während seines Aufenthalts an der Schwindsucht. Noch heute erinnert im Dom eine Gedenktafel an ihn.

Und sein kleines Liebeslied? Es ist dem Komponisten Johann Crüger (mehr über sein Leben könnt Ihr auch auf dieser Seite erfahren) zu verdanken, dass es nicht in Vergessenheit geriet, sondern zu diesem berühmten Kirchenlied wurde. Mit ein paar Änderungen an Noten und Rhythmus machte Crüger aus der beschwingten Melodie ein ernstes, getragenes Musikstück, Paul Gerhardt , sein Kollege und Freund aus Berliner Zeiten (auch er tauchte hier bereits mehrfach auf), schrieb den Text dazu, wobei er vermutlich auf einen lateinischen Hymnus zurückgriff und daraus einige Verse übersetzte. In dieser Fassung hat der Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ seit Generationen immer wieder Komponisten, von Pachelbel bis Paul Simon, zu eigenen Werken inspiriert. Ein Klassiker der Kirchenmusik.

DIE GESCHICHTE ZUM LIED

Auf einmal alles anders // Thomas Lotz

Leonie versteht es nicht. Seit heute Morgen ist alles so anders. Als jemand aus dem Krankenhaus angerufen hat und Mama gesagt hat, dass Opa gestorben ist, damit hat es angefangen. Selbst das Brot mit der Schokocreme hat ihr nicht geschmeckt. „Das ist wegen Opa,“ hat Mama gesagt, ganz leise.
„Was hat Opa denn mit unseren Brötchen zu tun?“ hat Leonie sofort gefragt und war auf einmal richtig wütend. Auch das war irgendwie falsch, sie wollte gar nicht wütend sein. Stattdessen ist sie in ihr Zimmer gerannt und hat die Tür hinter sich zugeschlagen. Einfach so. Sie hat sich auf ihr Bett geworfen und ihren Stoffhund geschnappt. Den, den ihr Opa ihr geschenkt hatte, als sie noch ganz klein war. Auch das war irgendwie seltsam: Der kleine Hund machte sie traurig, aber sie wollte ihn auch nicht weglegen. Sie hielt ihn ganz fest in ihrem Arm.
Schließlich kam Mama rein und setzte sich zu Leonie aufs Bett. Ganz lange sagte sie gar nichts, war einfach da. Leonie konnte sehen, das Mama auch traurig war. Sie hatte Tränen in den Augen.
Mama hatte Opa gestern noch besucht, im Krankenhaus. Als sie wiederkam, hatte sie gar nichts erzählt, keine Grüße wie sonst, nur, dass es Opa sehr schlecht geht. Jetzt war Opa tot.
Mama schaut den Hund an, den Leonie immer noch fest im Arm hält. Ganz vorsichtig beginnt sie, ihn zu streicheln.
„Opa wäre jetzt gerne bei uns!“, sagt Mama auf einmal.
„Bist du dir sicher?“, fragt Leonie überrascht. Sie denkt an die letzte Übernachtung bei ihm, da war er noch gesund. Ein Picknick haben sie gemacht, mitten im Wohnzimmer. Ihr Opa hatte immer ganz verrückte Ideen. Leonie wollte eigentlich raus, aber es regnete. „Da machen wir das Picknick halt drinnen“, hatte Opa gesagt.
Das fällt Leonie gerade ein, als sie ihren Hund streichelt.
Auf einmal muss sie lachen. „Mama, weißt du noch, wie er meinem Hund ein Leckerli mitgebracht hat?“
Mama lächelt, ihre Augen sind auch ein bisschen fröhlich. „Klar! Du hast ihm gesagt, das sei dein Haustier, also hat er ihm etwas mitgebracht!“ Das war typisch für Opa. Er hat die anderen einfach ernst genommen, egal, wie sie waren.
Die beiden sitzen noch eine Weile beieinander und reden über Opa. Wie er immer gesagt hat: „Jetzt lass doch die andern mal ausreden.“ Oder: „Jetzt reg dich doch nicht so auf.“ Er hat immer irgendwie aufgepasst, dass nichts aus dem Ruder läuft, dass sie in der Familie auch bei Streit wieder miteinander reden.
Dann beschließen die beiden, weiter zu frühstücken, denn irgendwie haben sie doch noch Hunger. Den Hund behält Leonie auf dem Weg zum Tisch in der Hand. Da fällt ihr etwas ein: „Mama?“, fragt sie und bleibt plötzlich stehen. „Bist du eigentlich noch sauer, weil ich dich vorhin angeschrien habe und einfach die Tür zugeknallt habe?“
„Ach Leonie“, antwortet Mama und nimmt sie in den Arm. „Dafür habe ich dich viel zu dolle lieb!“
Wieder sieht Leonie Tränen in Mamas Augen, aber jetzt kommt es ihr vor, als wären es Freudentränen.
Verrückt. Irgendwie hat das alles mit Opa zu tun.